40 prominente tunesische Aktivisten aus den Bereichen Politik, Kunst, Zivilgesellschaft und Menschenrechte haben am 12 April ein Manifest veröffentlicht, in dem sie den Präsidenten Kais Saied auffordern, sofort von seinem Amt zurückzutreten. Sie begründen diese Forderung mit dem „Zusammenbruch der staatlichen Grundsätze“ nach Jahren der „politischen Abschottung, persönlichen Machtansprüchen, der Blockade von Institutionen und der Verletzung von Rechten und Freiheiten“.
Krise der Regierungsführung:
In dem Manifest wird betont, dass Saieds Verwaltung eine „allumfassende Regierungskrise“ darstellt. Diese Krise wird durch „Chaotismus, Zufälligkeit und unausgewogene Verhaltensweisen“ verstärkt, was die Überzeugung nährt, dass er „nicht in der Lage ist, das Land zu führen“. Zudem gibt es keine kontrollierende oder rechtsprechende Instanz, die seine Verstöße begrenzen könnte, und die Verfassungsgesetzgebung fehlt.
Kritik an Saieds Haltung und Handlungen:
Die Unterzeichner kritisieren die „aggressiven und aufgeladenen Positionen“ von Präsident Saied, sowohl vor als auch nach den Wahlen. Sie werfen ihm vor, „ungesetzliche Methoden“ zur Ausschaltung seiner politischen Gegner zu nutzen und ein angespanntes Klima gegen die Zivilgesellschaft, Journalisten und Geschäftsleute zu schaffen. Saied verlässt sich angeblich auf „Macht außerhalb der rechtlichen Normen“, was in Zeiten einer „dramatischen Verschlechterung der sozialen und wirtschaftlichen Lage“ und einer „unprecedented Isolation“ des Landes besorgniserregend ist.
Auswirkungen auf das gesellschaftliche Klima:
Die Verfasser des Manifests betonen, dass Saieds Haltung, die auf einem „Wahn von Verschwörungen“ basiert, Misstrauen in der Gesellschaft schürt und ein Klima der Angst erzeugt. Dies hat dazu geführt, dass viele Bürger, darunter auch Richter, Beamte und Investoren, in eine Atmosphäre der Unsicherheit geraten sind, was die willkürliche Inhaftierung Unschuldiger zur Folge hatte. Sie warnen, dass Saieds Verbleib im Präsidentenpalast „eine ernsthafte Gefahr für die Gegenwart und Zukunft des Landes darstellt“.
Vorschlag für eine politische Lösung:
Die Unterzeichner schlagen vor, ein Komitee aus Verfassungsrechtlern und Richtern des Verwaltungsgerichts zu bilden, das einen „Fahrplan“ für vorgezogene Präsidentschaftswahlen erarbeitet. Sie fordern, dass der Staat bei den Wahlen Neutralität, Gleichberechtigung und Transparenz wahrt. Zudem soll das Komitee sicherstellen, dass keine „Fehler der Vergangenheit“ wiederholt werden, die Tunesien vor dem 25. Juli 2021 geschadet haben, und dass das Land ein unabhängiges Justizsystem garantiert.
Wirtschaftliche und soziale Herausforderungen:
Tunesien kämpft derzeit mit schwerwiegenden sozialen und wirtschaftlichen Problemen. Unter der Führung von Kais Saied sind keine Lösungen gefunden worden, was zu weitreichenden Kritiken geführt hat. Besonders im Hinblick auf die zunehmende Machtkonzentration und die Verabschiedung von Dekreten ohne demokratische Legitimation wird Saied stark kritisiert.
Saieds umstrittene Justizreform:
Saieds Reform des Obersten Gerichtshofs, die 2022 die Entlassung von 57 Richtern beinhaltete, sorgte für heftige Diskussionen. Während einige die Maßnahme als notwendig für die „Reinigung des Justizsystems“ bezeichnen, sehen andere darin den „letzten Nagel im Sarg“ der Unabhängigkeit der Justiz.
politische Aktivisten, Journalisten, Anwälte angeklagt
Ungefähr 40 bedeutende Persönlichkeiten aus den Bereichen Politik, Journalismus, Recht und Zivilgesellschaft in Tunesien stehen vor Gericht. Ihnen wird „Verschwörung gegen die innere und äußere Sicherheit des Landes“ sowie „Zugehörigkeit zu einer terroristischen Gruppierung“ vorgeworfen. Diese Delikte können in Tunesien mit langen Haftstrafen und theoretisch sogar mit der Todesstrafe geahndet werden, obwohl die Vollstreckung der Todesstrafe in der Praxis äußerst selten ist. Es ist zu beachten, dass in Tunesien seit den frühen 1990er Jahren keine Todesstrafe vollstreckt wurde, obwohl sie noch immer nicht offiziell abgeschafft ist.
Unter den Angeklagten befinden sich unter anderem der Präsident der republikanischen Partei, Issam Chebbi, der Verfassungsrechtsexperte Jouha Ben Mbarek sowie der ehemalige hochrangige Vertreter der gemäßigten islamischen Ennahda-Partei, Abdelhamid Jlassi.
Scharfe Kritik von der UN-Menschenrechtskommissarin
In einer Presseerklärung im Februar übte der Sprecher des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, Thamin Al-Khaitan, scharfe Vorwürfe gegen die Menschenrechtslage in Tunesien. Er forderte die tunesischen Behörden auf, endlich mit den „Praktiken der willkürlichen Festnahmen, Inhaftierungen und Haftstrafen“ gegen zahlreiche Menschenrechtsaktivisten, Anwälte, Journalisten, politische Aktivisten und Zivilgesellschaftler Schluss zu machen. Viele der Angeklagten sehen sich mit „unspezifischen und vagen Anklagen“ konfrontiert, die anscheinend einzig auf der Wahrnehmung ihrer grundlegenden Rechte und Freiheiten basieren.
Diese Verfahren werfen erneut grundlegende Fragen zur Rechtsstaatlichkeit und zur Wahrung internationaler Menschenrechtsstandards in Tunesien auf und rufen Besorgnis hinsichtlich der politischen und gesellschaftlichen Freiheiten im Land hervor.
Wirtschaftliche Krise und internationale Verhandlungen:
Tunesien steht vor erheblichen wirtschaftlichen Herausforderungen, darunter Schwierigkeiten bei der Rückzahlung von Schulden. Das Land führt schwierige Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds, um ein neues Darlehen zu erhalten. Gleichzeitig hat die Regierung begonnen, die Subventionen für Kraftstoffe schrittweise abzubauen und sich wiederholt bei lokalen Banken zu verschulden, um ihre Ausgaben zu decken.