Der griechische Außenminister Giorgos Gerapetritis hat am Dienstag, dem 22. Juli, die libysche Hauptstadt Tripolis im Rahmen eines offiziellen Besuchs aufgesucht. Während seines Aufenthalts führte er Gespräche mit führenden Vertretern der libyschen Einheitsregierung, darunter Premierminister Abdulhamid Dbeibah, der kommissarische Außenminister Taher Baour sowie der Vorsitzende des Präsidialrats, Mohamed al-Menfi.
Im Fokus der Gespräche standen laut offizieller Mitteilung die Stärkung der bilateralen Beziehungen in den Bereichen Entwicklung, Luftfahrt und Sicherheit. Auffällig war jedoch das bewusste Ausklammern des heiklen Themas der Seegrenzen, über das Athen und Tripolis seit Jahren im Streit liegen.
Hintergrund: Streit um Seegrenzen
Die Spannungen verschärften sich zuletzt, als das ostlibysche Parlament unter der Kontrolle von General Khalifa Haftar eine Kommission einsetzte, um das umstrittene Seeabkommen zwischen Libyen und der Türkei aus dem Jahr 2019 zu überprüfen. Griechenland reagierte prompt und kündigte eine Ausschreibung zur Erkundung von Erdgas in einer maritimen Zone an, die auch von Libyen beansprucht wird. Daraufhin reichte Tripolis offiziell Protest gegen diesen Schritt ein.
Ein geteiltes Land, unterschiedliche außenpolitische Strategien
Die Reise Gerapetritis’ machte die politischen Bruchlinien innerhalb Libyens erneut sichtbar. Während die Regierung in Tripolis eine Deeskalation gegenüber Athen anstrebt, nutzt die ostlibysche Führung unter Haftar die Situation, um sich als internationaler Akteur zu profilieren – unter anderem durch Druck auf das Parlament, das türkisch-libysche Abkommen zu ratifizieren und eine EU-Delegation aus Bengasi auszuweisen.
Die Rolle der Türkei
Die Türkei hatte im November 2019 ein Memorandum of Understanding über maritime Zusammenarbeit mit der damaligen Regierung der Nationalen Übereinkunft in Tripolis unterzeichnet. Im Oktober 2022 wurde dieses Abkommen unter der Einheitsregierung erneut bestätigt. Die darin festgelegten Seegrenzen verlaufen nahe der griechischen Insel Kreta – ein Umstand, der in Athen auf scharfe Kritik stößt. Ankara wiederum nutzt den libyschen Machtkonflikt, um seinen Einfluss im östlichen Mittelmeerraum auszuweiten.
Überlappende Abkommen im östlichen Mittelmeer
Neben dem türkisch-libyschen Abkommen existieren weitere maritime Vereinbarungen in der Region, etwa zwischen Griechenland, Ägypten, Zypern und Israel. Dabei kommt es regelmäßig zu Überlappungen und konkurrierenden Ansprüchen auf Seegebiete – was das Konfliktpotenzial zusätzlich erhöht.
Ein ungelöstes Problem seit 2006
Die maritimen Grenzen zwischen Griechenland und Libyen sind bis heute nicht offiziell festgelegt. Die letzten bilateralen Verhandlungen wurden 2006 abgebrochen. Angesichts wachsender europäischer Unterstützung für Griechenland droht eine weitere Eskalation des Streits.
Der Bürgerkrieg als Kontext
Nach dem Sturz von Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 rutschte Libyen in einen blutigen Bürgerkrieg ab. Die Türkei unterstützte militärisch die Regierung in Tripolis und verhinderte deren Zusammenbruch während der Offensive der Libyschen Nationalarmee unter Haftar im Jahr 2019. Im Oktober 2020 wurde ein Waffenstillstand geschlossen, der bis heute hält, obwohl das Land weiterhin zwischen einer westlichen und einer östlichen Machtbasis gespalten ist.