Melilla/Ceuta – Nur fünf Monate nach der symbolträchtigen Wiedereröffnung des Handelszolls am Grenzübergang von Melilla und der erstmaligen Inbetriebnahme eines solchen Zolls am Übergang von Ceuta, haben die spanischen Behörden am 9. Juli 2025 die erneute Schließung beider Übergänge bestätigt. Laut offiziellen Mitteilungen aus den beiden autonomen Städten sowie dem spanischen Außenministerium handelt es sich um einen zeitlich begrenzten Schritt, der mit der Sommerreiseaktion der marokkanischen Diaspora in Verbindung steht.
Spanien spricht von “temporärer Maßnahme” – Marokko schweigt offiziell
Laut der spanischen Tageszeitung El País beruft sich das Außenministerium in Madrid auf eine Klausel des bilateralen Abkommens mit Marokko, das seit April 2022 in Kraft ist. Dieses Abkommen erlaubt es, den Warenverkehr bei hohem Reiseaufkommen temporär auszusetzen, um den zivilen Personenverkehr – insbesondere im Rahmen der Aktion Operación Marhaba – zu erleichtern. (Die Operation Marhaba was auf Deutsch „Willkommen“ bedeutet, ist eine jährliche humanitäre und logistische Großaktion, die vom marokkanischen Staat organisiert wird. Sie richtet sich an Marokkanerinnen und Marokkaner, die im Ausland leben – insbesondere in Europa – und im Sommer in ihre Heimat zurückkehren.)
Die spanischen und marokkanischen Zollbehörden seien weiterhin in Abstimmung, um ein Gleichgewicht zwischen der Logistik des Gütertransports und dem grenzüberschreitenden Personenfluss sicherzustellen.
Kritik aus Melilla: „Nicht korrekt, Marokko will keine Lkw durchlassen“
Ganz anders sieht es jedoch Juan José Imbroda, Präsident der Stadt Melilla. In einer eilig einberufenen Pressekonferenz am 10. Juli 2025 erklärte er, dass der Handelsgrenzübergang „bis auf Weiteres“ geschlossen sei – und zwar ausschließlich auf Veranlassung der marokkanischen Seite. Er widersprach den offiziellen Aussagen der spanischen Regierung und betonte:
„Die Operation Marhaba kann auch mit offenem Handelszoll fortgesetzt werden – etwa durch einen gesonderten Lkw-Korridor. Doch Marokko hat sich klar entschieden: Es wird kein einziger Lastwagen durchgelassen.“
Ein offizielles Schreiben der marokkanischen Zollbehörde liegt den spanischen Behörden inzwischen vor. Die Zollagentur Melilla bestätigte, dass der Stopp des Handelsverkehrs mindestens bis zum 15. September 2025 bestehen bleiben soll – dem geplanten Ende der Sommerreiseaktion.
Politische Spannungen: War die Einladung an die Polisario der Auslöser?
Die spanische Zeitung El Independiente berichtet unterdessen über Gerüchte, wonach die plötzliche Grenzschließung als diplomatische Reaktion Rabats auf die Einladung eines Vertreters der Polisario-Front durch die konservative Volkspartei (PP) zu deren Parteitag am 6. Juli 2025 zu verstehen sei. Beide Städte – Ceuta und Melilla – werden politisch derzeit von der PP dominiert.
Während sich Ceutas Bürgermeister Juan Vivas bislang zurückhaltend äußert, nutzt sein Amtskollege in Melilla die Gelegenheit zur scharfen Kritik an der Regierung von Pedro Sánchez, der er eine nachgiebige Haltung gegenüber Marokko vorwirft.
Interner Kursstreit in der Volkspartei (PP)
Die unterschiedliche Tonlage der beiden Bürgermeister offenbart interne Meinungsverschiedenheiten innerhalb der PP im Umgang mit Marokko. Während Vivas für eine diplomatische Lösungslinie à la Pablo Casado steht, setzt Imbroda auf einen konfrontativen Stil, wie ihn der aktuelle Parteichef Alberto Núñez Feijóo verfolgt – mit dem Ziel, das Thema „Spanisch-marokkanische Beziehungen“ politisch gegen Sánchez auszuspielen.
Rabat reagiert möglicherweise auf Bruch mit Westsahara-Kompromiss
Als möglicher Wendepunkt gilt jedoch nicht nur die parteipolitisch motivierte Einladung an die Polisario. Beobachter sehen die wachsende Distanz der PP zum spanisch-marokkanischen Kompromiss in der Westsahara-Frage als Hauptursache für die Eskalation. Dieser Kompromiss wurde am 18. März 2022 mit einem Schreiben von Pedro Sánchez an König Mohammed VI. besiegelt und in einer gemeinsamen Erklärung am 7. April 2022 bekräftigt.
Die offizielle Anerkennung des marokkanischen Autonomieplans durch Spanien war ein diplomatischer Durchbruch. Dass die PP nun diesen Kurs öffentlich infrage stellt – und gleichzeitig Vertreter der Polisario-Front einlädt – könnte in den Augen Rabats den Wiederbeginn wirtschaftlicher Druckmaßnahmen rechtfertigen.